Über die Idee eines Paradieses.
Das Werk von Songnyeo Lyoo.
Alle Religionen haben sich eine ganz besondere Vorstellung des Paradieses erschaffen, einem Ort, an den nach dem Leben nur wenige privilegierte Seelen gelangen. Sie haben ebenfalls ein Gegenstück dazu: Die Hölle – ein Ort der, nebenbei bemerkt, häufig sehr einfach zu erreichen ist. Nicht nur Vertreter der großen Kulturen und Religionen, auch viele Künstler und Schriftsteller haben sich im Laufe der Zeit darum bemüht, diese Orte darzustellen. Ich denke dabei unter anderem an die Gravuren Gustave Dorés, die schmutzigen Aquarelle William Blakes, die das Bestiarium der Hölle veranschaulichenden Gemälde von Hieronymus Bosch (alias El Bosco), Paradise Lost von John Milton und natürlich die wunderbaren Dichtungen von Dantes Göttlicher Komödie.
In diese illustre Tradition können auch die Arbeiten Songnyeo Lyoos gestellt werden, einer koreanischen Malerin, die seit einigen Jahren im deutschen Offenbach lebt. Ihre Vorstellungen des Paradieses orientieren zum Teil an Ideen des Buddhismus, schließen aber auch an andere Religionen und Traditionen an.
Der traditionellen und klassischen asiatischen Malerei verpflichtet, verwendet sie beim Malen sechs Schichten eines besonderen Reispapiers als Träger der Gemälde. Dieses Papier, der Träger, ist dabei nicht bloß Voraussetzung, sondern bereits Bestandteil des endgültigen Werks – die künstlerische Arbeit beginnt mit dem Schichten des Papier. Die Vorbereitung des auf Mehl basierenden Klebstoffs, der die Blätter zusammenhält, also die Basis ihrer Bilder, nimmt dabei in der Regel einen ganzen Monat in Anspruch. 
Auch ihre Farben bereitet die Künstlerin selbst zu. Die daraus entstehende Farbpalette erinnert an den japanischen Maler Katsushika Hokusai, an dessen Verwendung von Wasser und seine Liebe zum Detail; als ein Beispiel dafür könnte der Schaum herhalten, der in einigen Bilder Lyoos auftaucht.
Das Paradies ist dabei für Lyoo nie etwas Externes, das es zu erreichen gilt, es ist bereits im Menschen selbst. Für sie ist es innerhalb, nicht außerhalb der Grenzen des Menschen präsent, der Mensch umfasst es mit seiner Figur und entscheidet selbst, wie er es gestaltet. Die Betonung auf den Begriff Figur ist dabei bedeutsam, denn alle Attribute der dargestellten Körper bleiben im Hinblick auf ihrer spezifisch geschlechtlichen Eigenschaften unserer Interpretation überlassen. Sie haben keinen spezifischen Körper, sie sind asexuelle Wesen, nicht als männlich oder weiblich identifizierbar. Es erscheinen keine Brust, kein Lendenbereich, nur Beine und (unbehaarte) Arme, die weder erotisieren, noch provozieren wollen.
In diesem Paradies (oder Arkadien) sind alle Dinge durch eine Linie aus Goldstaub verbunden. Pflanzen, Gemüse, Wasser, Menschen, Steine – alle sind durch diese goldene Straße miteinander verknüpft. Dadurch erscheinen die Bilder auch nicht wie eine wirre Ansammlung verschiedener, disparater Elemente, sondern als eine Einheit, eine riesige, multiforme Gestalt, die Landschaft und Menschen, Wasser und Felsen einschließt in ein riesiges Kaleidoskop, in dem alles vermischt wird, damit Neues entsteht.
Ihre Gemälde wirken auf mich darüber hinaus auch wie eine Reminiszenz an den Garten der Lüste von Bosch. In der von Lyoo erschaffenen Welt finden wir Menschen vor, die tanzen und lachen, doch die zugleich wie merkwürdig verformte Kreaturen wirken. Wie bei Bosch existiert hier ein schöner, lebendiger und ein monströser, unheimlicher Teil der Welt zur gleichen Zeit. 
Im August sind die Werke der Künstlerin in der Ikosaeder Galerie unter dem Ausstellungstitel Peach Blossom Plateau zu sehen. In Frankfurt, zur Planung der Ausstellung, forschten wir mit der Künstlerin nach dem besten Namen für die Ausstellung, der sich in irgendeiner Weise mit dem Konzept des Paradieses in Verbindung bringen lässt. Zur Debatte standen zum Beispiel Garten von Arkadien oder auch Black Flower, angelehnt an ein Buch von Young-Ha Kim, das auf sich aufmerksam machte durch die Darstellung koreanischer Sklaven, die nach Ihrer Freilassung versuchten, im Maya-Dschungel eine eigene Republik mit einem Hauch von Utopie aufzubauen. Schlussendlich verblieben wir dann aber doch bei Peach Blossom Plateau – einer in Asien weit verbreiteten Bezeichung für den Weg ins Paradies.

Text. Oscar Ledesma
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