Der Duft der Pflaume
Der Duft der Pflaume,
wenn ich das Fenster öffne
in heller Mondnacht.
Haiku von Kobayashi Issa.

In einer Kunstgalerie ist es eines der faszinierendsten Dinge, zu erleben, wie eine Ausstellung entsteht. Auch die Ausstellung Der Duft der Pflaume fand über einige Um- und Irrwege zu ihrer schlussendlichen Form. Es begann im Dezember 2013, im Rahmen einer Jahresausstellung wurden dort Werke von Künstlern gezeigt, die in dieser Stadt leben. Meine Aufmerksamkeit wurde bei dieser Ausstellung auf zwei Arbeiten von Martina Deli gelenkt. Die Bilder waren fast monochromatisch, man musste sie sehr sorgfältig beobachten, um auf ihnen kleine Farbflecken und die vielen versteckten Details zu entdecken. Ich war so begeistert von diesen Bildern, dass ich beschloss, ihre Arbeiten in meiner Galerie auszustellen. Ich wusste allerdings noch nicht wann und vor allem nicht mit wem, da ich eigentlich gerne Ausstellungen zeigen, bei denen ein Dialog zwischen Künstlern entsteht. 
Im folgenden Januar reiste ich nach Mexiko, in die Stadt Oaxaca, um das Kloster von San Pablo zu besichtigen. Auf meiner Reise entdeckte ich ein T-Shirt, auf dem der heilige Pablo dargestellt war, als ein Konstrukt aus vielen kleinen Ameisen. Da machte es Klick! in meinem Kopf und ich wusste, wer zusammen mit Martina Deli ausgestellt werden würde: Evelyn Bracklow. Einige Monate zuvor zeigte Stephanie Brysch, die ebenfalls bei mir ausgestellt hatte, auf einer Ausstellung in Dortmund, die unter dem Thema Linie stand, einige ihrer Arbeiten. Auf dieser Ausstellung waren auch Arbeiten von Evelyn Bracklow zu sehen, kleine Porzellanteller, die mit einem Aufdruck einer Ameiseninvasion versehen waren. An diese Porzellanarbeiten musste ich plötzlich denken. Dieses Aha-Erlebnis war der ersten Schritt hin zu einer der wunderbarsten Ausstellungen, die ich je machen durfte. Ich kehrte nach Essen zurück – und die beiden Künstlerinnen erklärten sich auch bereit, gemeinsam ihre Werke unter meinem Dach zu zeigen.

Über die Arbeiten von Martina Deli

Mit einem Hauch von metaphysischer Malerei umgeben, mit ihren traumhaften Sequenzen und surrealen Tendenzen erinnern mich die Arbeiten Martina Delis immer wieder an die Landschaften Giorgio de Chiricos. Sie wurden zur Ausstellung in drei Gemälde-Serien gehängt:
Die erste Serie, die ich auch im Museum in Mülheim gesehen hatte, bestand aus Landschaften in Grautönen, mit Säulen, Oberkörpern, Insekten und Vögeln, die mit Farbflecken teils verschmelzen, teils kontrastiert werden.
Eine zweite Reihe von Werken, an dieselbe Wand gehängt, waren drei Papierarbeiten auf transparenter Folie. Titel: Blumen für Helden. Sie basierten auf einer ziemlich interessanten Idee: Es wurden Zeichnungen von militärischen Orden, Medaillen und Waffen verwendet, die wie bei einer Collage schlussendlich Blumenarrangements bildeten. Waffen und Krieg werden quasi de-instrumentalisiert, in einen neuen Bedeutungszusammenhang gezwungen und so ihrer Bedrohlichkeit beraubt. Ein Konzept, das mit der Delis Werken sehr ähnlichen Arbeit Pulp Pistols von Silvia Liebig bereits zuvor bei einer Ausstellung in der Galerie zum Thema wurde.
Auf der diesen Serien gegenüberliegenden Wand schließlich hing die dritte Reihe, im Gegensatz zu den beiden anderen fast schon eine Explosion an Farbe. Als Untergrund für die Gemälde flocht die Künstlerin dünne Papierstreifen zu einer Fläche und malte anschließend auf ihr Wälder voller Vögel. Die glänzende Farbe auf den einzelnen, aus dem Flechten hervorgegangenen Papierquadranten verlieh den Gemälden abschließend das Aussehen einer Fläche von kleinen Keramikfliesen. Einfach wunderbare Bilder.

Über die Arbeiten von Evelyn Bracklow
Ameisen überfallen Porzellangeschirr. Als blickte man auf ein verlassenes Picknick und langsam aber sicher nehmen die Ameisen den menschenverlassenen Raum ein. Bracklows Werke so zu sehen war für mich so unvermeidlich, wie dabei an den Film Stalker von Andrej Tarkowski oder das Buch Picknick am Straßenrand, ein SciFi-Werk der russischen Brüder Strugatsky zu denken, zu dessen Ehren schon Julia Schwarz eine massive Installation in der Galerie angebracht hatte.
Die Kurzgeschichte der Strugatskys handelt von einem Ort in Russland, an dem sich die Gesetze der Physik geändert haben. Es sind dort auch fremdartige Objekte aufgetaucht, die zu sehr hohen Preisen auf dem Schwarzmarkt feilgeboten werden. Es wird vermutet, dass Außerirdische zu einem Ausflug, einem Picknick dorthin gekommen sind und ihre Reste, die Objekte, einfach dort zurückgelassen haben. Wie bei Ameisen, die Reste menschlicher Picknicks entdecken, sind auch die Objekte, die die Menschen finden, Dinge, mit denen sie nicht klarkommen. Für die Außerirdischen sind die Menschen in diesem Szenario ohne Interesse, für sie sind Menschen, was für uns Ameisen sind, kleine Kreaturen ohne Bedeutung, Eindringlinge in die Überreste ihres schönen Picknicks.
Doch sind Ameisen wirklich so uninteressant? Das Buch ein Endloses Geflochtenes Band von Douglas Hofstadter befasst sich mit dem Konzept der Formiga, dem Verständnis einer Ameisenkolonie als äußerst intelligente Einheit. Es eröffnete die Debatte, ob es so etwas wie starke und schwache Formen künstlicher Intelligenz (KI) gibt, vielleicht sogar in der Natur. Außerdem betont es, dass der Mensch immer offen sein muss, unsere glänzenden, scheinbar festen Definitionen des Seins als etwas flexibles zu sehen, um zu begreifen, dass wir, um am Leben zu sein und auch zu bleiben, unsere Intelligenz verändern können müssen, wie es zum Beispiel in Solaris von Stanislaw Lem skizziert wird.
Auch im Einführungsvortrag zur Ausstellung sprang ich vom Thema künstliche Intelligenz unvermittelt zu den Marabunta-Ameisen und ihrer Eigenschaft, alles auf ihrem Weg mit sich zu nehmen und aufzufressen. Ich tat dies aus einem ganz bestimmten Grund: Weil dies die Aufgabe von Kunst ist. Kunst und vor allem das Deuten von und Nachdenken über Kunst, bedeutet ungewöhnlche Verbindungen zu finden. Mit der Welt zu arbeiten, durch Arbeiten Teile der Welt neu zu verknüpfen – oder aber auch einfach nur, um der Neigung nachkommen zu dürfen, über Aliens und Riesenameisen zu sprechen.

Text. Oscar Ledesma
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